Für gerechte und inklusive digitale Zukünfte
Eine feministische Digitalpolitik
Der Status Quo
Wenn heute über Digitalisierung gesprochen wird, dann häufig im wirtschaftlichen Kontext: Wie können wir unseren Wohlstand mithilfe von technologischem Fortschritt erhalten? Wie können wir beim technologischen Wettrüsten zwischen den USA und China weiterhin eine Rolle spielen? Die Digitalisierung ist ein Mittel, um Prozesse effizienter zu machen, Geschäfte schneller zu erledigen und Transaktionskosten zu senken. Was bei den gängigen Narrativen außen vor bleibt, ist, dass Digitalisierung ein zutiefst gesellschaftliches Thema ist, bei dem es um soziale Teilhabe, um Zugang zu Wissen und Bildung und um Gerechtigkeit geht.
Solange sich alles nur um Innovation und Effizienz dreht, bleiben die Bedürfnisse vieler Menschen außen vor. Der Ansatz “Digital First, Bedenken Second” führt dazu, dass einzelne Gruppen in unserer Gesellschaft besonders stark von den negativen Effekten der Digitalisierung betroffen sind. Sie werden von Algorithmen diskriminiert und ihnen wird der Zugang zu Plattformen verwehrt.
Anstatt zum Wohlstand für alle trägt diese Art der Digitalisierung zur weiteren Spaltung unserer Gesellschaft bei. Deswegen brauchen wir einen radikalen Zielwechsel: Wir brauchen eine feministische Digitalpolitik!
Unsere Vision für 2030
2025: Die Digitalpolitik wird von Menschen bestimmt, die den Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Grund dafür ist ein radikales Umdenken darüber, was Digitalisierung eigentlich ist: Sie wird nicht mehr technokratisch debattiert, ist kein Mittel zur Wirtschaftsförderung, sondern ein Gesellschaftsthema: Eng verknüpft mit Menschenrechtsfragen, Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik zieht sich Digitalisierung durch alle politischen Themenfelder. Grundstein für die wachsende Beteiligung ist ein 2022 durchgeführter partizipativer Prozess: Zivilgesellschaftliche Organisationen haben gemeinsam mit der Politik Digitalmissionen für die Gesellschaft entworfen, die nun umgesetzt werden.
2029: Die öffentliche Verwaltung, die lange als veraltet und dem Analogen verhaftet galt, ist zur Vorreiterin für eine Digitalisierung geworden, die auf Chancengerechtigkeit, Zugang und Barrierefreiheit setzt. Die Verwaltung hat ihre Serviceangebote komplett überarbeitet und ihre design patterns veröffentlicht - und treibt so digitale Innovation voran. Geschafft wurde dies, weil analog zur feministischen Außenpolitik eine feministische Tech Policy implementiert wurde.
Diese Policy bestimmt nicht nur, wie digitale Angebote aus der Wirtschaft reguliert werden - sie bestimmt auch das Design der digitalen Verwaltungsarbeit, offenen Regierungshandelns und der digitalen Verwaltungsangebote für die Menschen. Einer der Grundsätze ist: Begegnung auf Augenhöhe. Digitale Anwendungen passen sich auf die jeweiligen Bedürfnisse und Präferenzen der Nutzer*innen an – das umfasst Pronomen, Sprache, informierte Einwilligung, den Kommunikationskanal uvm.
2030: Auch wenn Deutschland zum digitalen Vorreiter geworden ist, hinterfragen wir mehr denn je kritisch, ob digitale Lösungen gesellschaftlich und ökologisch sinnvoll sind – und setzen deshalb auf Low-Tech-Lösungen, wo sie sinnvoll sind. Gewählt wird übrigens auch 2030 noch mit Stift und Papier.
Unsere Forderungen an die Politik
- Entwurf und Umsetzung von Digitamissionen: Nach der Bundestagswahl werden in einem partizipativen Prozess mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft Digitalmissionen für Nachhaltigkeit, Chancengerechtigkeit und Bildung entworfen. Die Umsetzung der Digitalmissionen in den einzelnen Ressorts wird durch ein transparentes, messbares Monitoring eines Katalogs an Maßnahmen begleitet, begleitet.
- Einsetzung von Ethikkommissionen: Bei allen öffentlichen Aufträgen und Förderprogrammen für digitale Technologien überprüfen Ethikräte (besetzt mit zivilgesellschaftlichen Organisationen) den potenziellen Einfluss auf Gesellschaft und Grundrechte; Hochrisikotechnologien werden ausgeschlossen.
- Entwicklung einer Feminist Tech Policy: Verwaltungen und Politik entwickeln mit zivilgesellschaftlichen Gruppen den Rahmen für eine Feminist Tech Policy, die Digitalpolitik als Gesellschaftsthema definiert und formt. Damit setzen sie Maßstäbe für eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung.
Autorinnen
Elisa Lindinger und Julia Kloiber sind Digitalexpertinnen und Gründerinnen der gemeinnützigen Organisation SUPERRR Lab. Sie beschäftigen sich seit über 10 Jahren mit den Themen Open Source, Civic Tech und Open Government. Aktuell treibt sie vor allem um, wie inklusive und gerechte digitale Zukünfte aussehen können und welche Rahmenbedingungen und Netzwerke wir brauchen, um diese umzusetzen. Zu diesem Thema arbeiten und forschen sie mit ihrer Organisation SUPERRR Lab.