Zurück in die Zukunft

Warum wir Digitalisierung jetzt barriere­frei gestalten müssen

Der Status Quo

Wenn es um Barrierefreiheit geht, steht die deutsche Bundesregierung mit beiden Beinen auf der Bremse – das gilt für die physische wie für die digitale Welt. Geht nicht, können wir nicht – das ist das Motto. Treiberinnen von Gesetzesinitiativen für eine barrierefreie Gesellschaft sind stattdessen die UN und die EU, auf nationaler Ebene wird davon nur ein Mindestmaß umgesetzt oder sogar blockiert.

In Deutschland endet die Vorstellungskraft digitaler Barrierefreiheit bei der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (die nächstes Jahr übrigens 20 Jahre alt wird). Nicht einmal diese wird konsequent umgesetzt: Ausschreibungen für digitale Produkte oder Dienstleistungen lassen Vorgaben zur Barrierefreiheit schmerzlich vermissen. Im besten Fall wird versucht, fertig programmierte Webseiten oder Apps im Nachhinein noch irgendwie barrierefrei anzubieten. Dabei könnte es so einfach sein: Die Technologie ist da und bietet alle Möglichkeiten, um Digitalisierung barrierefrei zu gestalten. Man muss es nur machen!

Die Vision für 2030

Huch, warum klingelt denn der Wecker heute Morgen 30 Minuten früher? Ach ja, der Aufzug zur U-Bahn, den ich auf dem Weg zur Arbeit benutzen muss, ist kaputt und der Umweg dauert länger. Also raus aus den Federn und rein in den Rollstuhl. Unterwegs buche ich noch schnell die Karten für das Konzert nächste Woche. Hat die Columbiahalle eigentlich ein Bodenleitsystem? Sonst wird das für meine Freundin Katrin doof. Ich google das mal schnell… Super, das gibt es! Den Rollstuhlplatz konnte ich auch direkt online buchen, ganz ohne Anruf!

Diese Zukunftsvision hört sich gar nicht so visionär an, oder? Für jede zehnte Person in Deutschland würde sie aber einen gravierenden Unterschied darstellen und eines ermöglichen: Eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ohne Barrieren, ohne Sonderwünsche, ohne spezielle Bedürfnisse.

In der Zukunft, die wir uns vorstellen, kann jede*r bei einer Hotelreservierung genauso einfach ein barrierefreies Bad wie ein Zimmer mit Meerblick online buchen. Und ob ein Video Untertitel hat oder eine Webseite in Leichter Sprache verfasst ist, ist keine Frage der Barrierefreiheit mehr, sondern so selbstverständlich wie die Tatsache, dass in Zügen nicht geraucht wird. Die Züge haben bis dahin natürlich alle mehr als einen einzigen rollstuhlgerechten Platz.

Digitalisierung kann nur dann einen demokratischen Anspruch stellen, wenn sie barrierefrei ist. Das sollte 2030 eine Selbstverständlichkeit sein. In dem Moment, in dem durch Technik Menschen ausgeschlossen werden, ist der demokratische Grundansatz nicht gegeben.

Unsere Forderungen

  • Als Erstes etwas Grundlegendes: Alle Menschen haben ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des Lebens, sowohl im digitalen als auch im analogen Bereich. Das heißt: Barrierefreiheit ist nicht nice to have, sondern ein Menschenrecht! Jeder Mensch hat ein Recht auf umfassenden Zugang zu einer Gesellschaft. Um das zu garantieren, braucht es umfassende gesetzliche Vorgaben, die Standards für Barrierefreiheit festsetzen — auch für die Privatwirtschaft.
  • Zweitens: Gesetze und Vorgaben sind ein erster Schritt. Aber ihre Umsetzung und Einhaltung muss überprüft werden. Hierfür braucht es Behörden mit Expertise in Sachen Barrierefreiheit sowie die Befugnisse, bei der Missachtung von Verpflichtungen auch eingreifen zu können.
  • Drittens: Nicht nur die gesetzliche Peitsche zur Umsetzung wird benötigt, sondern auch das Zuckerbrot in Form von Subventionen. Barrierefreier Umbau sollte genauso gefördert werden wie die Photovoltaikanlage auf dem Dach oder das E-Lastenrad.
  • Viertens: Solange Barrierefreiheit als Nischenthema betrachtet wird und bei Gesetzesinitiativen nur als Nebengedanke auftritt, kann sie ihr Potenzial als Teilhabemotor nicht entfalten. Wir fordern deshalb eine Ombudsperson für Barrierefreiheit in jedem Ministerium. Nur so können wir erreichen, dass Menschen mit Behinderungen etwa bei Klima-, Verkehrs- und Digitalpolitik von Anfang bis Ende mitgedacht und beteiligt werden.
  • Fünftens: Barrierefreiheit und Zugänglichkeit hilft allen Menschen weiter. Jeder Mensch nutzt gerne einen Aufzug, jeder Mensch mag automatisch öffnende Türen und viele Menschen haben schon Videos mit Untertitel angeschaut, weil sie den Ton gerade nicht anschalten konnten. Barrierefreiheit ist für alle da. Genau diesen Stellenwert braucht das Thema in Politik und Gesellschaft. Wir nennen es Disability Mainstreaming. Nur so wird die Zukunft für uns alle gestaltet.

Autor

Über Sozialhelden e. V.: Seit über 15 Jahren arbeiten wir Sozialheld*innen an Lösungen für mehr Teilhabe und Barrierefreiheit. Wir verstehen uns als konstruktive Aktivist*innen, die sich mittels moderner Kommunikation und Technologien für eine bessere Welt für alle einsetzen.

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Die Initiative hat einen Rapid Response Grant der Schöpflin Stiftung erhalten, der für Webdesign und Grafik eingesetzt wurde.