Katja Jäger von Betterplace Lab zur Diskurskompetenz

Der Weg zur diskurs­kompetenten Gesellschaft

Zu Beginn des Internetzeitalters sah es so aus, als ob die neuen, offenen und freien Debattenräume demokratischen Prinzipien weltweit zum Siegeszug verhelfen würden. Doch wir erleben, dass individuell ausgespielte Realitätskonstruktionen gesellschaftliche Polarisierung verstärken. Falschinformationen zirkulieren in unseren sozialen Netzwerken genauso wie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Neben freiem Wissen werden wir vermehrt mit Desinformationen konfrontiert, ebenso mit Stimmungsmache und hasserfüllten Botschaften. Verschiedene Studien attestieren jeder dritten Person in Deutschland eine Verschwörungs-Mentalität. Erfahrungen mit sowie die Angst vor Online-Hassrede schränken die freie Meinungsäußerung ein.

Die Ursachen der menschen- und demokratiefeindlichen Phänomene liegen meist nicht in der Technologie, jedoch verstärken Mechanismen im Digitalen die Symptome: Plattform-Unternehmen sammeln Daten über ihre Nutzer*innen und setzen diese algorithmengestützt ein, um Menschen möglichst lange auf der Plattform zu halten oder sie anderswie in ihrem Verhalten zu beeinflussen. Die Aufmerksamkeitsökonomie belohnt polarisierenden Inhalt und bietet somit den Boden für Desinformation und Hass.

Unsere Vision für 2030

Wenn wir die richtigen Weichen stellen, können wir das Potenzial voll ausschöpfen, das die digitale Revolution bereithält. Wir können eine Welt schaffen, die wie folgt aussieht:

  • Digitale Orte sind derart gestaltet, dass sie zum echten Diskurs einladen und somit das Gemeinwohl fördern, statt ihm zu schaden. Die Mechanismen digitaler Infrastrukturen belohnen die Kontextualisierung von Wissen und die Richtigstellung bei fehlerhaften Informationen. Statt polarisierenden Inhalten ermöglichen sie das ausgewogene Austragen von Konflikten. Marginalisierte Gruppen bringen ihre Perspektiven in die Diskurse ein und haben darüber hinaus eigene geschützte Räume. Desinformationen und Hass können keine große Reichweite erzielen.
  • Digitales Miteinander gelingt durch faktenbasierten und respektvollen Meinungsaustausch und ebensolche Aushandlungsprozesse. Die öffentliche Meinung konstituiert sich durch die Ausgewogenheit von Meinungen, Meinungsverschiedenheiten werden ausgehalten. Nicht die lauteste, sondern die besonnene Stimme findet Gehör und Gewicht. Bei gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen genießt jeder Mensch das Recht auf Unversehrtheit auch im digitalen Raum, digitale Zivilcourage ist der neue gute Ton. Möglichkeiten zur Moderation und Sanktion bei Verstößen sind vorhanden und werden angemessen genutzt.
  • Das Digitale Ich wird durch einen Haltungswandel gestärkt. Medienkompetenz und Wissensaufbau sind die Grundlagen für eine informierte individuelle Meinungsbildung. Die Informationsarchitekturen digitaler Umgebungen werden von den Menschen reflektiert. Die aufgeklärten Nutzer*innen sind zudem imstande, ihre eigenen Bias bei der Rezeption von Informationen zu erkennen und zu reflektieren.

Unsere Forderungen an die Politik

Wir fordern eine Digitalpolitik, die das diskursive Potenzial digitaler Technologien in den Mittelpunkt stellt und den Weg für einen gesellschaftlichen Haltungswandel ebnet.

  • Digitale Plattformen regulieren, moderieren und beforschen:
    • Digitale Umgebungen tolerieren weder Desinformation noch Hass: Bestehende Plattformen werden gesetzlich angehalten, konsequent gegen Desinformationen und demokratie-feindlichen Inhalte vorzugehen und ihre Maßnahmen zur Eindämmung transparent darzustellen. Eine verbindliche Quote bestimmt den Anteil demokratie-feindlicher Inhalte, der auf Plattformen nicht überschritten werden darf.
    • Inhalte werden ggf. moderiert: Beim Überschreiten von Grenzwerten muss binnen einer Frist eine Lösung zur Content-Moderation, z. B. durch vermehrten Faktencheck und/ oder das Anpassen algorithmischer Entscheidungen, umgesetzt werden.
    • Inhalte in digitalen Umgebungen werden beobachtet und analysiert: Wissenschaftliche Studien erforschen den Anteil von Desinformation und toxischer Sprache auf Plattformen, legen diesen offen und bilden so eine Faktengrundlage für Regulierung. Wissenschaftliche Einrichtungen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen erhalten die nötigen Daten.
  • Tools gegen demokratiefeindliche Inhalte fördern: Debunking-Funktionen zum Entlarven von Desinformation und Meldefunktionen von demokratie-feindlichen Inhalten werden standardmäßig und nutzer:innenfreundlich in allen Plattformen implementiert. Die Funktionsweise dieser Lösungen wird kontinuierlich evaluiert und angepasst.
  • Gemeinwohlorientierte oder genossenschaftliche Plattformen aufbauen: Langfristig ermöglicht ein Infrastrukturfonds für Freie und Open-Source-Software (inkl. Förderung von Wartungsarbeiten) die Entwicklung von Plattformen, die in ihrer Logik für einen ausgewogenen Diskurs gestaltet sind.
  • Medienkompetenz von Individuen stärken: Bildungsangebote werden flächendeckend und zielgruppengerecht angeboten, um Nutzer*innen im kompetenten und sicheren Umgang mit dem Netz zu schulen. In der Jugend- und Erwachsenenbildung – ob in Schulen, sozialen Einrichtungen oder am Arbeitsplatz – gehören Medienkompetenz-Programme zum Standardrepertoire.

Autorin

Katja Jäger, Betterplace Lab. Katja Jäger ist überzeugt, dass in der Digitalisierung lauter Potentiale stecken, die zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden sollten. In den letzten Jahren hat sie genauer untersucht, wie Digitalisierung und Demokratie zusammengehen.

Impressum

Angaben gemäß §5 TMG

Superrr Lab SL gGmbH
Oranienstraße 58a
10969 Berlin

Vertreten durch:
Julia Kloiber
Elisa Lindinger

Illustrationen:
Anna Niedhart

Registereintrag:
Eintragung im Handelsregister.
Registergericht: Berlin
Registernummer: HRB 207856 B


Die Initiative hat einen Rapid Response Grant der Schöpflin Stiftung erhalten, der für Webdesign und Grafik eingesetzt wurde.